Der unsichtbare Käfig: Warum starke Männer "keine Gefühle haben" – und wie diese finden

Zählst du dich auch zu den Männern, die nicht verstehen was von dir erwartet wird, wenn du dich emotional ausdrücken sollst? Überfordern dich Situationen, in welchen du aufgefordert wirst, endlich mal Gefühle zu zeigen?

Dann bist du nicht allein. Viele Männer haben Schwierigkeiten, Zugang zu ihren Gefühlen zu finden und darüber zu sprechen. Frauen signalisieren dann häufig, dass sie nicht wirklich zum Mann durchzudringen oder abgeblockt zu werden, wenn ein Gespräch emotional wird.

 Hinter deinem Verhalten verbergen sich tiefgreifende Gründe. Lass uns mal gemeinsam hinschauen, warum das so sein kann und wie du als Mann lernen kannst, einen besseren Zugang zu deinen Gefühlen zu bekommen.

Die Gefühlswelt des Mannes

Warum fällt es Männern schwer, über Gefühle zu sprechen oder sie überhaupt zu spüren? Was sind die Gründe?

 Dafür gibt es verschiedene Gründe, die oft miteinander zusammenhängen:

  1. Gelerntes Verhalten und alte Rollenbilder: Auch heute wird von Jungs noch erwartet stark zu sein und sich nicht unterkriegen zu lassen. "Sei doch keine Heulsuse" oder "Du bist ein Waschlappen" sind geschlechtsspezifische Botschaften, die das Bild des starken Mannes prägen und verinnerlichen. Männer lernen dadurch, dass das Zeigen von Schmerz und Gefühlen wie Angst oder Trauer unmännlich oder sogar peinlich sind. Männer lernen dadurch, ihre Gefühle zu unterdrücken um "ein richtiger Mann zu sein". Denn der Mann möchte respektiert und ernst genommen werden.
  2. Das Gefühl, emotional inkompetent zu sein: Viele Männer empfinden sich selbst als emotional inkompetent, also unfähig, Gefühle richtig zu verstehen oder auszudrücken. Sie sagen dann vielleicht Sätze wie: "Leider kann ich das nicht verstehen" oder "Ich kann meine Gefühle nicht so gut ausdrücken". Manchmal fühlen sie sich von Emotionen regelrecht überfordert und ziehen daraus den Schluss, dass sie inkompetent sind. Das ist oft ein weit verbreitetes kollektives "Meme", also eine gesellschaftliche Vorstellung, die nicht stimmt.
  3. Frühe Prägungen und Trauma als Überlebensstrategie: Menschen, die in ihrer Kindheit schwierige, belastende oder sogar traumatische Erfahrungen gemacht haben, lernen, Gefühle auszublenden oder abzuspalten. Das ist dann keine bewusste Entscheidung, sondern eine Überlebensstrategie, die automatisch abläuft, um sich vor Überwältigung und Schmerz zu schützen.  
  4. Angst vor Überflutung und Kontrollverlust: Wenn Gefühle lange unterdrückt wurden, können sie sich im Inneren anstauen und eine hohe Spannung entwickeln. Die Angst davor, von diesen intensiven Gefühlen überwältigt zu werden oder die Kontrolle zu verlieren, ist dann sehr groß. Manche Menschen, die das Gefühl haben, zu wenig zu fühlen, haben im Inneren häufig "eingefrorene" Gefühle. Deswegen halten sie sich lieber von den eigenen oder auch von den Gefühlen anderer fern. Manchmal fühlen sich sogar positive Gefühle bedrohlich an, weil ihre Intensität mit Stress und Kontrollverlust assoziiert sein kann.
  5. Entfremdung vom eigenen Körper: Wenn Gefühle unterdrückt werden, führt das oft auch zu einer Entfremdung vom eigenen Körper. Der Körper speichert aber Emotionen und Erinnerungen. Wenn man den Körper kaum spürt oder diesen ablehnt, ist es schwer, die eigenen Impulse und Bedürfnisse wahrzunehmen. Es kann sogar so weit gehen, dass man eine Taubheit empfindet und diese Taubheit mit "keine Probleme haben" verwechselt.
  6. Angst vor Ablehnung und Verlassenwerden: .Das Zeigen von Verletzlichkeit oder Schwäche kann bei Männern, wie bei allen Menschen mit frühkindlichen Belastungen, die Angst auslösen, abgelehnt, nicht ernst genommen oder verlassen zu werden. Diese Angst ist oft tief in dir verankert, wenn du in Situationen aufgewachsen bist, in denen deine Bezugspersonen dir nicht genug Sicherheit gegeben haben.
    Wenn du zum Beispiel als Junge erlebt hast, dass du mit deinen Gefühlen nicht willkommen warst, oder wenn du dich allein gelassen und überfordert gefühlt hast, reagierte dein Nervensystem dann so, dass es diese Gefühle "einfriert" oder abspaltet.
  7. Fehlende sichere Räume: Männern fehlen oft Erfahrungsräume und Begegnungsräume, in denen sie sein dürfen, wer sie sind, und ihre Gefühle zeigen können, ohne dafür bewertet oder verurteilt zu werden.

Wie kannst du als Mann lernen, Zugang zu deinen Gefühlen zu bekommen und darüber zu sprechen?

Das ist ein Prozess, der Zeit, Geduld und oft auch Unterstützung braucht. Es ist ein Weg der Selbstentdeckung und Heilung.

  1. Bewusstwerdung und Selbstkenntnis:
    • Erkennen, was wirklich ist: Der erste Schritt ist, anzuerkennen, dass diese Schwierigkeiten nicht bedeuten, dass du "falsch" bist, sondern dass es sich um erlernte Muster handelt.
    • Hinsehen und Wahrnehmen: Erlaube dir wahrzunehmen, was in dir passiert – welche Gedanken, welche Gefühle, welche körperlichen Empfindungen da sind. Frag dich: "Was ist das gerade für ein Gefühl? Was spüre ich in meinem Körper?"
    • Verstehen lernen: Versuche zu verstehen, warum du bestimmte Verhaltensweisen oder Gefühle hast. Das kann dir helfen, aus der Frustration herauszukommen und dich nicht mehr ohnmächtig zu fühlen.
  2. Gefühle zulassen und einordnen lernen:
    • Gefühle haben eine Berechtigung: Egal welches Gefühl auftaucht (Wut, Trauer, Freude), es hat einen Grund und eine Berechtigung. Gefühle sind nicht "unangemessen".
    • Nicht identifizieren: Lerne, dass deine Gefühle ein Teil von dir sind. Du bist allerdings mehr als deine Gefühle. Zum Beispiel: "Ein Teil von mir ist traurig" statt "Ich bin traurig". Das schafft eine gesunde Distanz und hilft, nicht von den Gefühlen überwältigt zu werden.
    • Körpersignale ernst nehmen: Dein Körper spricht zu dir. Lerne, auf ihn zu hören und wahrzunehmen, was er dir mitteilt, auch wenn es sich unangenehm anfühlt. Das ist die Grundlage, um Gefühle überhaupt spüren zu können.
  3. Selbstregulation und Kapazität aufbauen:
    • Umgang mit Intensität: Wenn Gefühle unterdrückt wurden, können sie beim Wiedererscheinen sehr intensiv sein. Lerne, damit umzugehen und deine Kapazität für intensive Gefühle zu entwickeln.
    • Körperorientierte Übungen: Übungen, die dich im Hier und Jetzt verankern, sind sehr hilfreich. Zum Beispiel kannst du bewusst auf deinen Atem achten, deinen Sitz oder deine Füße spüren oder eine kleine Stelle am Körper wahrnehmen, die sich sicher anfühlt.
    • Dosiert vorgehen: Stürze dich nicht kopfüber ins "Gefühlsabenteuer". Erlaube dir, dich in kleinen Schritten der Herausforderung anzunähern. Besonders  wenn Trauma im Hintergrund steht, ist ein dosiertes und stabilisierendes Vorgehen unerlässlich. 
  4. Sichere Beziehungen und professionelle Unterstützung suchen:
    • Trauma heilt in Beziehung: Der wichtigste Schlüssel zur Heilung ist oft die Beziehung zu anderen Menschen. Vertraue dich Menschen an, bei denen du dich sicher fühlst und die dich in deiner Verletzlichkeit annehmen.
    • Darüber sprechen: Finde Worte für das, was du erlebst. Wenn du deine Geschichte erzählst, kann das Türen öffnen und dir helfen, dich nicht mehr falsch zu fühlen. Auch das Schreiben kann sehr hilfreich sein, um Gefühle zu sortieren.
    • Professionelle Begleitung: Besonders bei tiefgreifenden Themen empfehlen wir eine professionelle, traumasensible Unterstützung. Ein Therapeut oder eine Therapeutin kann einen sicheren Raum bieten und dir helfen, Zusammenhänge zu verstehen und neue Erfahrungen zu machen.
    • Männerarbeit/Männerkreise: Spezielle Räume für Männer können sehr wertvoll sein. Hier kannst du dich austauschen und lernen, dich in deiner Männlichkeit auch verletzlich zu zeigen. Diese tiefgreifenden korrigierenden Erfahrungen in Verbundenheit mit anderen wirken heilsam und verringern die Angst vor Ablehnung.
  5. Selbstmitgefühl und Selbstwertgefühl stärken:
    • Wohlwollen mit dir selbst: Sei wohlwollend mit dir selbst. Betrachte dich und deine inneren Reaktionen mit Respekt und Verständnis, so wie du es einem kleinen Kind oder einem guten Freund gegenüber tun würdest.
    • Alte Strategien anerkennen: Verstehe, dass deine Überlebensstrategien (wie das Unterdrücken von Gefühlen) einmal dazu dienten, dich zu schützen. Verurteile dich nicht dafür, sondern erkenne die Not an, die dahintersteckt.
    • Eigenverantwortung übernehmen: Du lernst, für sich selbst einzustehen und du kümmersst dich bewusst um seine Bedürfnisse und Gefühle, denn andere können es für dich nicht tun.

 Während des Heilungsprozesses zeigen sich vielleicht alte, unintegrierte Gefühle. Auch wenn sich dies unangenehm anfühlen können, so ist es doch häufig ein Hinweis, dass das eigene System anfängt zu arbeiten und Veränderung angestoßen wird. Du erweiterst deine Kapazitäten und entwickelst wichtige Kompetenzen. Es lohnt sich dranzubleiben.

Du musst diesen Weg nicht allein gehen. Ich, Joachim, unterstütze dich gerne dabei, dich und deine Männlichkeit neu zu entdecken und in den Kontakt mit dir selbst zu finden.

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